Verkörperter Spiegel

Kunsthalle Dominikanerkirche Osnabrück, UA 14. September 2007
Theater St. Gallen, Premiere 4. Oktober 2009

Ein Bodenspiegel durchbricht den Tanz- und Zuschauerraum. Die Zuschauer befinden sich mitten im tänzerischen Aktionszentrum. Die Bewegungen aller Anwesenden und ihre Reflexe im Spiegel, im Schatten, im Licht machen das Foyer zum Theater. Die optische Kommunikation der Tänzerinnen und Tänzer untereinander findet fast ausschliesslich durch Blickwechsel in den Spiegel statt. Darsteller und Zuschauer treiben und vertreiben sich – die magische Wand zwischen Tänzern und Publikum fällt in den sich improvisatorisch entwickelnden Bewegungsfolgen. Aus choreografischen Bausteinen entsteht die Performance in direkter Beziehung zum Erlebnis und zur Eroberung des Aufführungsortes. Offen ist, ob zu Ende die Spiegelfläche fixiert bleibt oder zerlegt wird. Videoanimationen und künstlerische Luftobjekte verstärken den Eindruck der labilen Balancen tänzerischer Kommunikation. Im Rahmen des Theaterfestivals «Spieltriebe» gelangte die Performance von Marco Santi am 14. September 2007 in der Kunsthalle Dominikanerkirche Osnabrück zur Uraufführung. Danach gastierte das Tanztheater Osnabrück mit der Performance in der Karlskaserne Ludwigsburg, im Pommerschen Landesmuseum Greifswald und in der Kunsthalle Bremen. Verkörperte Spiegel versteht sich als wandlungsreiches offenes Projekt, das in Museen, Werkhallen, Kasernen, leeren Fabriken und anderen geschlossenen Räumen zur Aufführung gelangen kann. Die Performance mit der Musik für Percussions und zwei Propangasflaschen von Roderik Vanderstraeten ist ein räumlich-körperliches Experiment, in dem der Spielraum direkt auf den tänzerischen Verlauf einwirkt.

Choreographie: Marco Santi/Tanz-Ensemble
Live-Musik: Roderik Vanderstraeten
Licht- und Luftobjekte: Frank Fierke
Kostüme:Marco Santi
Dramaturgie: Roland Dippel

VerKMusik“Zehn Tänzer in Alltagskleidung. Am Rande einer langen Spiegelfläche, die den Fußboden der ehemaligen Pferdestallungen bedeckt, sind sie von den Zuschauern kaum zu unterscheiden. Einige stehen, andere hocken, den Blick ins reflektierende Spiegelbild versenkt. Ausgangssituation der Performance „Verkörperte Spiegel“ von Marco Santi, die er vor zwei Monaten in Osnabrück uraufgeführt hat und als Beitrag zum 25. Jubiläum und auf Einladung der Ludwigsburger Tanz- und Theaterwerkstatt in der Karlskaserne präsentiert.

Die gespannte Ruhe wird durch das Getöse zwei mannshoher Gasflaschen unterbrochen. Hinter den Zuschauern rollen sie wummernd über den harten Beton. Der Ton einer Frauenstimme durchschneidet das alte Tonnengewölbe, trifft auf einen ähnlich rauhen Ton undefinierbaren Ursprungs. An der Stirnseite der Aktionsfläche residiert – einem Master of Ceremony gleich – der Musiker Roderik Vanderstraeten mit diversen Instrumenten, darunter Metallstücke, Schlagstöcke, Besen und Glocken. Tänzer, die vereinzelt oder als Paar verharren, während andere von motorischer Rastlosigkeit getrieben, durch den Raum schlurfen, streifen, schnellen. Oder sich am Ufer zu Clustern zusammenrotten, sich hektisch der Kleidung entledigen und in die Klamotten eines anderen schlüpfen.

Eine strukturierte Improvisation, die mit wenig Mitteln alles Vorhandene einbezieht. Augenscheinlich ist Vieles in diesem Kräftespiel der Körper und Gegenstände erlaubt. Ein spannendes Geflecht präexpressiver Elemente, aus Impuls und Resonanz, aus Widerstand und Nachgeben, aus Publikumsnähe, Identitätssuche und Raumerkundung. Dabei ist die Spiegelfläche sowohl gemeinsame Reflexionsebene, zu der die Akteure zurückkehren können – hin und wieder mit Zuschauern an ihrer Seite- als auch ein trennender Strom, der die auf der einen Seite sich nach denen der anderen sehnen lässt. Im unausgesprochenen Regelwerk, das sich beim Betrachten allmählich erschließt, scheint lediglich das Betreten der Hochglanzfolie verboten zu sein.

Kein Ballettsaal ohne Spiegel. Für Tänzerblicke ein immer verfügbares Gegenüber, eine objektive Ebene und eine wichtige Kontrollinstanz. Indem Santi den Spiegel aus der Vertikalen in die Horizontale legt, weist er ihm eine (im Wortsinn) grundlegende Bedeutung zu, die in der Konsequenz zu einer völlig anderen Haltung führt als im akademischen Tanz. Hier das erhobene Haupt (manchmal bis zur Hochnäsigkeit), dort der gesenkte Blick, der Melancholie und (gewagt unmodern) Demut suggeriert. Dabei belässt es der Choreograf aber nicht: zu guter Letzt werden die einzelnen Spiegelfolien vom Boden gelöst und von Paaren behutsam durch Raum und Publikum getragen. Quasi ein Pas-de-Trois, in dem sich Teile der Welt spiegeln, so wie sie ist, ganz schön verzerrt.” (Leonore Welzin)

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